Sie hätten mich verbrannt…

Hexenverfolgung ist gerade in der modernen Zeit wieder ein sehr großes Thema geworden. Besonders in Lateinamerika, Südostasien und vor allem in Afrika ist es ein großes Problem! In den letzten Jahrzehnten sind vermutlich mehr Menschen hingerichtet worden, als es in Europa im Mittelalter der Fall war. Es ist dort ein weit verbreiteter Glaube, dass man beispielsweise nur mit Magie zu Reichtum und Wohlstand kommt.

 

Im folgenden Artikel werde ich mich auf die Hexenverfolgung in Mitteleuropa beziehen.

Eine Hexe ist im volkstümlichen Glauben eine Frau mit Zauberkräften. Durch den Einfluss der Kirche wurde das Bild dahin gerückt, dass sie ihre Fähigkeiten nur besitze, weil sie mit Dämonen oder sogar dem Teufel im Bunde sei.

 

Das trifft ziemlich genau auf viele Situationen zu, die ich erlebe. Eine meiner „Zauberkräfte“ ist mein Gedächtnis. Viele Autisten sind von der Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) betroffen. Sie haben Schwierigkeiten, Personen anhand ihres Gesichtes zuzuordnen. Genau kann ich es nicht beschreiben, weil ich davon nicht betroffen bin. Diese Schwäche ist bei mir als Stärke ausgeprägt. Ich kann Menschen aus meiner Kindheit erkennen und der richtigen „Kartei“ zuordnen, auch wenn wir uns zuletzt vor 20 Jahren als Kinder gesehen hatten. Mittlerweile habe ich aufgehört, jemanden anzusprechen, den ich aus meiner Kindheit kenne. Das sind peinliche Gespräche gewesen, weil ich unheimlich viel über die entsprechende Person weiß (zum Beispiel Details aus dem Kindergarten), sie aber überhaupt keine Ahnung hat, wer ich eigentlich bin. Dabei helfen auch keine Erklärungen.

Früher hätten die Leute vermutlich über mich gesagt, dass mir diese Dinge Dämonen zuflüstern würden und ich dadurch „magische“/ hellseherische Kräfte hätte.

 

Mögliches Resultat: Ein aufgebrachter Mob, Inquisition und Scheiterhaufen!

 

Die meisten Autisten, wenn nicht sogar alle, haben ganz besondere, individuelle Fähigkeiten, Superkräfte, Zauberkräfte oder wie auch immer es genannt wird. Mit ihnen stechen wir aus der Masse hervor und es fehlt anderen das Verständnis dafür, wie wir das machen. Dass Informationen im Gehirn anders verarbeitet werden und deswegen auch andere Ergebnisse erzielt werden, wird nicht gesehen.

 

Die „klassische“ Hexe aus Kinderbüchern sieht fast immer gleich aus. Strubbelige Haare, verschlissene, „komische“ Kleidung und sie verstärkt nichts in Hinsicht ihrer „Weiblichkeit“. Keine Schminke und kein „weibliches“ Posieren. Hexen werden als „Kräuterweiber“ dargestellt, wie sie mysteriöse Tränke brauen. Sie erforschten die Natur und lernten ihre Wirkung zu nutzen. Sie fanden in der Natur Medizin, Nahrung, Wissen und Ruhe.

Klingt alles sehr nach einem „Aspie“.

 

Hexen leben zurückgezogen in einer alten Hütte im tiefsten Wald. Ein kleines Häuschen, irgendwo abseits der Masse, inmitten der Stille der Natur, das klingt für mich traumhaft!

Aus Hexen wird man nicht schlau, sie sind geheimnisvoll. Wer nicht viel redet oder an Ausdruck zeigt, gibt nicht viel über sich preis und wer etwas „verheimlicht“ muss ein dunkles Geheimnis haben. Ich rede auch nicht mit jedem und bei manchen Menschen/ Situationen ist es auch gut, dass sie nicht wissen, wie ich mich fühle. Ich muss das erst gar nicht verstecken. Es ist nicht sichtbar und dadurch wirke ich auf viele wie ein Buch mit sieben Siegeln. Das bedeutet aber nicht, dass ich irgendetwas verheimliche. Ich möchte mich nur nicht öffnen. Stille Wasser gründen tief! Das bedeutet nicht, dass dem etwas „Schlechtes“ zugrunde liegt.

 

Warum haben Hexen einen solch schlechten Ruf?

Die männliche Kirche akzeptierte Frauen in ihrem Weltbild nicht. Sie gebaren und zogen auf. Mehr nicht! Der Mann war der Held, kam zu Geld und gab die Regeln vor. Die Frau hatte sich zu beugen. Für die Kirche waren Frauen eine Bedrohung! Sie gaben vor, wie sich eine „gute“ Frau zu benehmen habe. Durch die Verbrennung konnten sie potenzielle Gefahren bzw. Frauen, die aus der Reihe tanzten, klein halten. Denn Frauen sind nicht dümmer als Männer und auch nicht in ihren Fähigkeiten eingeschränkt. Sie lassen sich nur leichter anpassen, um möglichst wenig anzuecken. Zu verdanken haben wir den Schlamassel dem Konkurrenzdenken unter Frauen. Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, als schönste und fruchtbarste gelten zu wollen, um den bestmöglichen genetischen Pool für den eigenen Nachwuchs zu erwischen. Mir kommt es vor, als würden Frauen durch ihr Äußeres versuchen, an mehr Macht zu kommen. Wenn eine sehr mächtige Person etwas sagt, macht oder trägt, ziehen andere hinterher und passen sich dem an. Ganz nach dem Motto: er/ sie ist erfolgreich – wenn ich es genauso mache, profitiere ich von seinem/ ihrem Ansehen und steige in der Hierarchie auf?

 

Fakt ist: Asperger-Frauen beugen sich diesem Druck nicht so leicht. Das Äußere ist irrelevant! Natürlich schminke auch ich mich gelegentlich. Aber nur, weil es von mir erwartet wird – nicht weil ich mich dadurch besser fühle. Kann ich einer Veranstaltung nicht aus dem Weg gehen, auf der alle anderen Frauen herausgeputzt sein werden, mache ich mich auch etwas „schicker“. Ich weiß, wie fatal es für meine Gemütslage wäre, wenn ich wegen meines Erscheinungsbildes direkt die Blicke auf mich lenke und wieder einen langen „Partyabend“ vor mir hätte. Ein roter Punkt auf schwarzem Grund…

 

Ich frage mich auch, was wir von der Emanzipation haben, wenn Frauen danach streben, am „weiblichsten“ zu wirken! Wer sagt uns, wie wir uns zu verhalten haben, um möglichst weiblich zu wirken? Sind es die großen Konzerne, die einen neuen Wunderlippenstift vermarkten wollen? Ich beneide Männer manchmal sehr für ihre „Freiheit“ im Äußeren (wobei der Trend da ja mittlerweile auch in eine andere Richtung geht… „metrosexuell“…). Männer zeigen ohne Hemmung ihren Bierbauch, schminken sich nicht und tragen in ihrer Freizeit Kleidung, die bequem ist. Bei ihnen ist es nicht schlimm, „Männer eben!“. Aber die Frau macht sich einen enormen Aufwand, von Männern als attraktiv angesehen zu werden. Wie es dann tatsächlich im Inneren aussieht, ist eine ganz andere Sache…

 

Wir werden zwar nicht mehr verbrannt, aber die Verfolgung dauert auch heute noch an…

 

In diesem Sinne verabschiedet sich eure „Hexe“ für heute und denkt noch etwas darüber nach, wie die Welt ohne Schminke wäre!

Sie hätten mich verbrannt…

2 Gedanken zu “Sie hätten mich verbrannt…

  1. Du schreibst „Ich frage mich auch, was wir von der Emanzipation haben, wenn Frauen danach streben, am „weiblichsten“ zu wirken!“

    Emanzipation ist für mich in erster Linie gesellschaftliche Gleichberechtigung, also eine ebenbürtige Gleichstellung aller Menschen, völlig unabhängig vom Geschlecht. Mir ist deshalb nicht klar, warum eine ausgeprägte Weiblichkeit der Emanzipation gegenläufig sein soll.

    Weiter schreibst Du: „Wer sagt uns, wie wir uns zu verhalten haben, um möglichst weiblich zu wirken?“

    Sicher mag es gewisse Erwartungshaltungen von Männern bezüglich der Weiblichkeit geben, letztendlich kann aber jeder Mensch – egal ob Mann oder Frau – sich so weiblich, männlich oder geschlechtsneutral geben wie er möchte. Zwar kann man von anderen Menschen erwarten, dass diese das respektieren, in Beziehungen unter dem Aspekt der Nähe ist das aber nicht so einfach. Manche mögen eben einen deutlichen Geschlechtsunterschied nicht nur körperlich, sondern auch im partnerschaftlichen Gesamtbild. Doch auch das widerspricht keineswegs der Emanzipation. Ich z.B. halte gebildete, emanzipierte und sehr weibliche Frauen für sehr interessant, und das ist überhaupt kein Widerspruch insich.

    Du schreibst:“Männer zeigen ohne Hemmung ihren Bierbauch, schminken sich nicht und tragen in ihrer Freizeit Kleidung, die bequem ist. Bei ihnen ist es nicht schlimm, „Männer eben!““

    Nein, das stimmt mehr so ganz. Das mag zwar in manchen Familien so vorkommen, grundsätzlich haben aber die meisten Frauen solchen Bildern gegenüber genauso ein ästhetisches Empfinden wie Männer gegenüber Frauen. Dass sich dieses Bild vom unterhemdtragenden Bierbauch-Mann, womöglich noch mit Flasche Bier vor dem Fernseher, so durchgesetzt hat, liegt wohl eher an dem altpatriarchalischen Gedankengut aus einer Zeit, in der der Mann das Geld verdient hat und die Frau von ihm abhängig war – und sich demzufolge der Mann solche Ungepflegtheiten vermeintlich leisten konnte. Ich vermute aber, dass so etwas den Frauen noch nie gefallen hat. Sie haben es nur stillschweigend akzeptiert.

    Zum Thema Schminken: selbst das Schminken ist nicht mehr auf Frauen begrenzt. In homosexuellen Partnerschaften kann man durchaus häufiger erkennen, dass ein Partner geschminkt ist, genauso wie bei lesbischen Partnerschaften es durchaus vorkommt, dass ein Partner sich extrem männlich kleidet und benimmt. Hier sind der persönlichen Freiheit nicht mehr so enge Grenzen gesetzt wie früher. Die Zeiten entwickeln sich.

    Im Übrigen – zu dem Thema Hexenverbrennung -. ist der Aspekt, dass die früheren Hexen Aspies hätten sein können, durchaus interessant. Allerdings muss man das wohl erheblich einschränken, denn die wenigsten von ihnen wohnten wie in Grimms Märchen im Wald. Zudem waren alle Menschen, die sich über die Lehre der Kirche hinaus mit Naturdingen beschäftigten, vor Verfolgung nicht sicher, auch hier unabhängig vom Geschlecht. Dass jedoch so viele Frauen dem zum Opfer gefallen sind, hat wohl auch damit zu tun, dass viele Männer auf diese Art und Weise ihren Ehepartner bequem loswerden konnten, indem sie diese der Hexerei bezichtigten. Und das sadistische Potential der Verfolger an der Lust, gerade Frauen zu quälen, sollte man dabei auch nicht unterschätzen.

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