Autistinnen und der Hang zu den „falschen Männern“

Ich nahm neulich an einer Diskussion unter Asperger-Frauen teil, in der es darum ging, wie wir auf neurotypische Männer wirken und warum wir dazu neigen, die Falschen anzuziehen.

Das ist ein sehr wichtiger Aspekt und ich möchte im folgenden Artikel über meine Sichtweise zum Thema schreiben.

Als ich etwa 17/ 18 Jahre alt war, sagte meine Mutter zu mir, dass ich Sozialarbeiterin werden solle, weil ich scheinbar die „schwierigen“ Männer anziehe. Allesamt mit Bindungsängsten und dennoch mit dem Wunsch, eine intensive Beziehung zu führen.

Mein Resümee mit 27 Jahren: ein (mittlerweile) diagnostizierter Borderliner (mein erster Freund), ein „Verdachtsborderliner“, ein diagnostizierter Narzisst, ein Vollwaise mit extremen Bindungsängsten und andere mit extremen „Auffälligkeiten“.

Mein jetziger (und hoffentlich letzter) Partner fällt durch das Raster. Seine „Auffälligkeit“ besteht eher darin, dass er „zu gut für diese Welt“ ist. Bis ich ihn gefunden habe, musste ich viel Leid ertragen und Demütigungen hinnehmen.

Einige Männer scheinen mich anziehend zu finden, weil ich „mysteriös“ und unnahbar wirke. Ein Buch mit sieben Siegeln. Wenn ich jemanden kennen lerne, erzähle ich nicht sehr viel über mein Innerstes. Er muss mein Wesen wie eine Zwiebel schälen. Mit jeder Schicht erfährt er mehr über mich und es stecken so manche Überraschungen in den verschiedenen Schichten, was mich abwechslungsreich und spannend erscheinen lässt. Durch meine Schwierigkeiten in der Kommunikation wirke ich schüchtern, was meinem Gegenüber womöglich schmeichelt. Durch meine Naivität mache ich mich als Beute interessant und wecke den Jagdinstinkt. Es dauert eine Weile, bis ich die wahren Absichten meines Gegenübers einschätzen kann. So passierte es oft, dass sich jemand bereits heftig in mich verliebt hatte, während ich ihn noch als „flüchtigen Bekannten“ einstufte. Es dauert lange, bis ich jemandem vertrauen kann. Meine Partner hatten ein ähnlich schnelles Tempo beim Hervorbringen ihres inneren Wesens. Das gefiel mir, weil ich mich nicht unter Druck gesetzt fühlte, mich „zu zeigen“ und ihnen gefiel es, weil sie scheinbar eine Frau hatten, die eine ähnlich oberflächliche Beziehung wünschte, die aber nicht an Intensität der Aufmerksamkeit zueinander einbüßte. Ich sehnte mich so sehr nach Harmonie und enger Bindung zueinander, dass ich zu viele Kompromisse einging und mich verbog, um meinem Partner zu gefallen. Meine Partner hatten Angst, sich richtig zu binden, damit ein Verlust nicht so sehr schmerzt oder ich keine „Macht“ über sie bekomme. Ich hingegen hatte Angst, dass die Bindung bricht, stellte meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche hinten an, um ihn nicht zu verlieren. Durch diese Konstellation führte ich ziemlich abstruse Beziehungen, in denen ich schweigend um Achtung schrie und mich selbst Stück für Stück vergaß. Bis auf zwei Ausnahmen „ertrug“ ich meine Beziehungen, bis sie sich von mir trennten. Fast alle haben irgendwann wieder den Kontakt zu mir gesucht und bereuten die Trennung. „Das, was ich an dir schätze, habe ich bei keiner anderen gefunden.“ habe ich so, oder so ähnlich, nicht nur einmal gehört.

Ich fand diese Männer interessant, weil sie, wie ich selbst auch, eine Zwiebel sind. Je einfühlsamer ich vorging, desto mehr erfuhr ich über sie. Einiges davon auch nur durch logisches Zusammenfügen. Wenn ich jemanden längere Zeit kenne und engen Kontakt habe, dann kann ich die Person sehr gut „lesen“. Dabei irre ich mich selten. Das machte manchen Angst und es begannen Machtkämpfe, in denen sie sich auf einen Thron hoben und mich degradierten. Mit der Zeit und zunehmender Erfahrung, lernte ich, mich zu wehren. Eine Diskussion mit mir entbrannte oft in einen Streit, weil ich sage, was ich denke und dabei oft einen wunden Punkt erwischte. Sie mussten sich selbst eingestehen, dass ich sie sehr gut kenne und habe sie dadurch mit ihren Ängsten konfrontiert.

Ich brauche einen Partner, der mich so akzeptiert, wie ich bin. Auch mit meinen Schattenseiten. Der geduldig und einfühlsam ist. Der sein Inneres nicht vor mir verschließt und mit meinem vielfältigen Wesen nicht überfordert ist. Der so gut zuhören, wie selbst erzählen kann und uns gemeinsam auf einer Ebene betrachtet.

Beziehungen waren nicht die einzigen Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht habe. Es gab auch solche, die ein Nein nicht akzeptieren wollten. Viele autistische Frauen mussten Erfahrungen mit Übergriffen machen.

Man lernt jemanden kennen, ist vielleicht auch scheinbar auf einer Wellenlänge und erkennt nicht die wahren Absichten. Sexuelle Zweideutigkeiten oder die eigene (eventuell auch überspielte/ angepasste) Körpersprache falsch interpretiert. Eine neue, potentiell nette Bekanntschaft entpuppt sich dann schnell als Alptraum. Ich weiß nicht, ob es an unserer sexualisierten, schnelllebigen Gesellschaft liegt oder schon vor hundert Jahren so war, aber viele sehen ein nettes Gespräch als Flirt und einen Flirt als Bereitschaft für einen One-Night-Stand. Hat mein Gegenüber einmal seine Beute gewittert und sieht sich kurz vor dem Ziel, können manche nicht mehr zurücksteuern, wenn der „Jäger“ in ihnen geweckt wurde.

Auch das Thema „ältere Männer“ sehe ich als wichtig an. In meinen Beziehungen war oft ein deutlicher Altersunterschied (bis zu 17 Jahren). Als Teenie konnte ich mit den Jungs aus meiner Altersklasse nichts anfangen. Sie waren in meinen Augen unreif und beschäftigten sich mit Themen, die mich in keinster Weise interessierten. Erwachsene, reifere Männer hingegen, waren eher mit mir auf einer Wellenlänge. Der Partner meiner ersten ernsthaften Beziehung war 10 Jahre älter. Wir ernteten viel Gegenwind, Spott und Beleidigungen im familiären, Freundes- und Bekanntenkreis. Meine Eltern fanden sich irgendwann damit ab, dass meine Wahl auf ältere Männer fällt. Auch in diesem Punkt ist mein Freund eine Ausnahme. Uns trennen nur zwei Jahre.

Es gab und gibt noch immer Situationen, in denen ich „sozial überfordert“ bin, weil ein deutlich älterer Mann sein Interesse für mich entdeckt hat. Zugegeben, die meisten sind diesbezüglich eher zurückhaltend, weil ihnen der deutliche Altersunterschied bewusst ist. Aber es gibt auch solche, die es offen aussprechen oder ihr Interesse in einer Gruppe kundtun, während ich anwesend bin. Es sind dann meist Anspielungen, die mich aber an den Rand meiner sozialen Kompetenzen führen. Ich bin nicht sehr gut im Lesen von Mimiken, aber ich erkenne es mittlerweile in den meisten Fällen, wenn mich jemand „mit seinen Augen auszieht“. Das widert mich an und führt zu meinem Rückzug.

Warum habe ich eine solche Wirkung auf ältere Männer? Vor einiger Zeit sagte mir jemand, dass ich mit dem Geist einer 40-jährigen im Körper einer 20-jährigen stecke.

Diese Ambivalenzen im Vergleich zu neurotypischen Frauen, lassen uns aus der Masse hervorstechen und ziehen nicht nur die „guten“ Männer an, sondern oftmals solche, die uns nicht gut tun. Ich denke, für Aspie-Frauen ist es mit hohem Maße erforderlich, potentielle Partner mit großer Sorgfalt zu filtern.

Anmerkung: da dieser Artikel den einen oder die andere etwas beunruhigt hat, ich könne in Gefahr sein, möchte ich explizit darauf hinweisen, dass ich über meine Vergangenheit schreibe und ich einen sehr liebevollen und einfühlsamen Partner habe! Sollte ich jemanden mit diesem Artikel beunruhigt haben, war dies nicht meine Absicht. Dafür entschuldige ich mich aufrichtig!

Autistinnen und der Hang zu den „falschen Männern“

6 Gedanken zu “Autistinnen und der Hang zu den „falschen Männern“

  1. Banshee schreibt:

    Ich finde mich nicht besonders stark darin wieder, auch wenn die Ausführungen an sich sehr schlüssig sind. Ich bin bislang bis auf eine Ausnahme immer an freundliche, bindungsinteressierte Männer geraten und habe mich auch nur wenig verbogen, um die Beziehungen zu halten. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich eher tonangebend in einer Beziehung bin und somit eher Männer anziehe, die lieber folgen als führen. Ich weiß nicht, ich würde es nicht unbedingt am Autismus festmachen. Denn wir alle haben unabhängig von unserer Diagnose auch noch eine Persönlichkeit, die ebenfalls maßgeblich dafür ist, welche Partner wir uns suchen bzw. welche wir anziehen.

    1. Es freut mich, dass dir derartige Erfahrungen erspart blieben. Ich verfolge einige Diskussionen zu diesem Artikel bei Facebook und dort sind die Übereinstimmungen mit anderen (teilweise auch autistischen Männern), sehr, sehr groß! Ich weiß nicht, wie es bei mir verlaufen wäre, wenn ich direkt in meiner ersten Beziehung einen (nicht nur scheinbar) aufmerksamen Partner gefunden hätte. Meine Maßstäbe wären dann vermutlich deutlich höher gewesen für die, die danach kamen.
      Nachdem ich heute weiß, dass es Männer gibt, die so sind, wie ich es mir immer erträumt habe, würde es mir vermutlich nicht mehr sooo schnell passieren (nur eine Vermutung).

  2. Sonja schreibt:

    Bei mir war das so, dass ich früher nie auf Männer zugegangen bin, und dann bei denen gelandet bin, die auf mich zu kamen. Was nicht immer die beste Wahl war. Aber ich war froh, dass ich überhaupt Kontakt zu Menschen hatte über diesen Weg. Auch gab es bei mir meist einen großen Altersunterschied, weil gleichaltrige Männer ein anderes Leben als ich führten, dass mir zu anstrengend war. Und ich hatte auch stets ein bisschen generelle Angst vor Gleichaltrigen, da ich meine schlechten Erfahrungen mit Ihnen gemacht hatte. Außerdem war ich früher meist froh, wenn die Männer verheiratet waren, da sie mir dann nicht zu Nahe kommen konnten. Ich merke, dass viele Männer nicht damit klar kommen, dass sie mich vielleicht auf einer Party, auf der ich mich zu hause fühle, ustig und kommunikativ kennen gelernt haben – und wenn sie mit mir zu anderen Events gehen stehe ich nur still da und bin überfordert. Insgesamt habe ich fast nur negative Erfahrungen mit Männern gemacht. Einer hat mir hinterher erzählt, ich sei nur ein soziales Projekt für ihn gewesen. EIner hat mich auf einen 2 wöchigen Urlaub eingeladen und dann nach 2 Tagen gesagt, er möchte lieber alleine weiterreisen. Einer hat mich auf einem Date plötzlich mitten in einer Disko alleine stehen lassen, weil ich wohl irgendwas gesagt hatte. Einer hat mir die ganze Zeit erzählt, welche Frauen er eigentlich toll findet. könnte hier noch 2 Seiten schreiben. Und was irgendwie ganz oft vorkommt ist, dass Männer mich fürs Bett wollen, aber mich irgendwie nicht für eine Beziehung in Betracht ziehen.

  3. John Frusciante Fan schreibt:

    Zitiere „Mein jetziger (und hoffentlich letzter) Partner fällt durch das Raster. Seine „Auffälligkeit“ besteht eher darin, dass er „zu gut für diese Welt“ ist. Bis ich ihn gefunden habe, musste ich viel Leid ertragen und Demütigungen hinnehmen.“

    hätte ich nicht besser sagen können.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meinen jetzigen wundervollen Partner niemals hätte kennenlernen können, wäre ich nicht zuvor an völlig traumatische Beziehungen gegangen. Mein Leid und mein Erfahrungsreichtum schuf quasi die Vorrausetzung dafür, endlich einen geeigneten Partner als solchen wahrnehmen und akzeptieren zu können, was mir früher nie gelungen wäre.

  4. Georg Werner Sobotta schreibt:

    Interessante Sichten, bis dato kannte ich nur einen Freund mit Asperger, er war Anwalt und schrieb bei allem was er gut konnte, nie so reflektiert über sich selbst. Es war mir eine Freude dies zu lesen. Danke.

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